Seidenstoff-Reste von Wagners Haushälterin
18.05.2022
Im Jahr 1866 bezog Richard Wagner seine «Tribschener Idylle» in Luzern, wo er sich ganz der Fertigstellung des Zyklus «Der Ring des Nibelungen» widmen sowie seinem Familienglück mit der frischen Liebe zu Cosima und den gemeinsamen Kindern hingeben konnte. Was in der Geschichte jedoch zumeist vergessen wird: Er schenkte auch einer anderen Beschäftigung einen Grossteil seiner Aufmerksamkeit, nämlich dem Einrichten und Umbauen des neuen Domizils. Ein kostspieliges und zeitaufwändiges Hobby, das noch von einem anderen übertrumpft wurde: dem Bestellen und eigenen Entwerfen von Kleidung aus edlen Stoffen. Was das genau bedeutete, wird anhand des Briefwechsels von Wagner mit seiner «Putzmacherin» Bertha Goldwag deutlich, der 1877 in die Öffentlichkeit geriet. Seidene Hemden, Jacken, Beinkleider, die Wagner-typischen Samtbarette, Schlafröcke, aber auch Decken, Kissen, Gardinen und vieles mehr bestellte der Komponist bei Bertha, die ihn von Anfang der 1860er-Jahre bis 1868 belieferte. Und auch seine Luzerner Haushälterin «Vreneli» (Verena Stocker-Weidmann) stellte für Wagner Kleidung und Textildekoration her – auch noch Jahre nach seinen Wegzug von Tribschen. Die im Richard Wagner Museum aufbewahrten Stoffreste stammen aus dem Nachlass Vrenelis und stellen eine Leihgabe aus der Sammlung Köpp-Stocker dar.
Die edlen und feinen Stoffreste stehen exemplarisch für Wagners Geschmack: Seide mit zarten Blumenstickereien gefielen dem Komponisten besonders. Im Verborgenen trug Wagner wohl sogar Damenkleider und -unterwäsche. Wie zahlreiche Zeitzeugenberichte verdeutlichen, lebte er seine Neigungen zu ausgefallener Kleidung aber nicht nur im Privaten aus. Dennoch reagierte er durchaus sensibel, wenn diese angesprochen wurden. So notierte Cosima am 24. Januar 1869 in ihrem Tagebuch: «Leider erweckt R.’s Passion zu Seidenstoffen eine Bemerkung von mir, die ich lieber hätte unterlassen sollen, weil sie eine kleine Verstimmung hervorrief.» Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Wagners Kleidungsgeschmack und vor allem auch sein detailliertes Wissen über Stoffe und deren Verarbeitung daher gar als Indiz für eine Bisexualität gedeutet.
Text: Franziska Gallusser, Richard Wagner Museum
Seidenstoff-Reste von Wagners Haushälterin, 1866
Diverse Seidenstoffe in den unterschiedlichsten Farbtönen aus dem Nachlass von Verena Stocker-Weidmann, Richard Wagner Museum, Leihgabe aus der Sammlung Köpp-Stock.