Meret Oppenheim: Sechs Urtierchen und Meerschneckenhaus
Trouvaillen aus den Luzerner Museen, Kunstmuseum Luzern
10.08.2022
Was da nicht alles kreucht und fleucht im Werk von Meret Oppenheim! Eichhörnchen, Schildkröten, Raupen, Schmetterlinge, Hornissen und Hummeln, Libellen und zahlreiches weiteres Getier. Im Werk der Schweizer Künstlerin, das erstmals in den 1930er-Jahren im Umfeld von Man Ray und den Surrealisten in Paris internationale Beachtung findet, sind vielfach Tiere dargestellt. Oft erscheinen sie als reine Assoziation durch Form oder Material. Die «Sechs Urtierchen und Meerschneckenhaus» (1978) aus Keramik gehören zum Spätwerk der Künstlerin. Zu dieser Zeit wehrt sie sich gegen die Kritik, die ihre Kunst immer wieder als «surrealistisch» und «weiblich» etikettiert und dadurch einzwängt. Anders als in früheren Werken werden in dieser Skulpturengruppe keine unkonventionellen, vorgefertigten Materialien kombiniert. Oppenheim verwendet Terrakotta, gebrannte Tonerde. Es handelt sich um ein klassisches Material aus der Töpferkunst, quasi ein Urmaterial. Wir befinden uns im Meer, vielleicht im Moment, als die ersten Tiere an Land gehen und ihre Gestalt verändern. Die Tierchen kommen uns bekannt vor: Die gepunkteten Wesen könnten frühzeitliche Meeresschnecken sein; das gelbliche Wesen mit zu einem «Saxophon» gebogenen Rumpf erinnert an ein Seepferdchen. Eine Schnecke mit zwei Fühlern trägt eine rechteckige Form auf dem Rücken, die das Dach des «Meerschneckenhaus» imitiert. Kehrt die Bewohnerin etwa zurück in ihr «Meerschneckenhaus»? Wenn ja, können wir uns nur wundern, wie die Schnecke durch die kleine Öffnung passt!
Meret Oppenheim interessiert sich in ihrem Werk immer wieder für Verwandlung und Metamorphose. Denn Leben und Kunst sind beide immer im Begriff, sich zu wandeln, ihre Form zu finden. Dabei geht sie virtuos mit Symbolen und Eigenschaften von Materialien und Objekten um und kombiniert diese zu vielschichtigen Arbeiten. So taucht das Thema der Häuslichkeit, das in der Psychoanalyse mit dem Unterbewusstsein in Verbindung gebracht wird, hier wieder auf, als evolutionärer Unterschlupf. Und beim vermeintlichen Seepferdchen, dürfte Meret Oppenheim wahrscheinlich die Fortpflanzung interessiert haben. Denn es ist das Männchen, das den Nachwuchs austrägt und so Oppenheims Credo «Der Geist ist androgyn!» perfekt verkörpert.
Die skulpturale Arbeit steht aktuell zum Verkauf und soll die zweidimensionalen Werke der Künstlerin in der Sammlungspräsentation des Kunstmuseums Luzern ergänzen: Die «Urtierchen» und das «Meerschneckenhaus» gesellen sich zu den Arbeiten «Teufelinnen» (1961) und «Der Traum von der weissen Marmorschildkröte mit den Hufeisen an den Füssen» (1975). Damit vereinen wir eine Gruppe herausragender und bedeutender Arbeiten Oppenheims in unserer Sammlung. Damit der Ankauf möglich wird, sind wir auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Wenn Sie das Kunstmuseum Luzern bei diesem Vorhaben unterstützen wollen, melden Sie sich bitte bei der Sammlungskonservatorin Alexandra Blättler per E-Mail an alexandra.blaettler@kunstmuseumluzern.ch.
Text: Beni Muhl, Kunstmuseum Luzern
Fotos Galerie Knoell / Kunstmuseum Luzern
Meret Oppenheim:
Sechs Urtierchen und Meerschneckenhaus, 1978
sieben Tonfiguren, bemaltes und glasierte Terracotta, 19 × 29,5 × 24 cm. Unten: Ausstellungsansicht «Durch Raum und Zeit. Künstlerische Universen aus der Sammlung», Kunstmuseum Luzern 2022.