Stravinsky
Hans Erni:
Stravinsky-Carneval
Trouvaillen aus den Luzerner Museen, Hans Erni Museum
12.08.2020
Auf einer aus grauen und braunen Flächen angedeuteten Bühne erscheint eine Figur, die vage an eine menschliche Gestalt erinnert und deren, aus eckigen Flächen zusammengesetzter Körper von einem kleinen Kopf auf langem, schmalem Hals bekrönt wird. Schwarze Striche umspielen die Gestalt, die an eine Marionette erinnert, deren Fäden sich gelöst haben. Diese Wahrnehmung wird durch das Muster aus Drei- und Vierecken bekräftigt, welches an die Kleidung des Harlekins in der Commedia dell’arte erinnert. Diese Merkmale und der Titel verweisen unzweifelhaft auf das Werk Igor Stravinskys (1882-1971), des – auch wegen seiner zahlreichen Verbindungen zu Dichtern und Künstlern der klassischen Avantgarde wie Jean Cocteau oder Léon Bakst – bedeutenden, russischen Komponisten und Dirigenten. Hans Erni entwarf 1961 Bühnenbild und Kostüme für die Zürcher Aufführung zweier Bühnenkompositionen Stravinskys. Der Künstler muss, wie der Titel seines Gemäldes von 1933 unschwer nahelegt, das Werk des Russen gekannt haben und von Komponisten beeindruckt gewesen sein. Das ist allerdings nicht weiter verwunderlich, hielt sich Erni doch seit 1930 regelmässig in Paris auf. Stravinsky war ab 1910 häufig in Paris, lebte von 1920 an dauerhaft in Frankreich und wurde 1934 französischer Staatsbürger. Spätestens seit dem Skandalerfolg seines Balletts Le Sacre du Printemps, bei dessen Uraufführung es 1913 zu tumultartigen Szenen kam, war Stravinsky weithin berühmt. Über die Zusammenarbeit mit den Ballets Russes des Impresarios und Choreographen Sergei Diaghilev fand er Kontakt zur künstlerischen Avantgarde, unter anderem zu Pablo Picasso, der für die Uraufführung von Stravinskys Ballett Pulcinella die Kostüme und Bühnenbilder entwarf. Stravinsky pflegte auch enge Beziehungen zur Schweiz: So leitete der Westschweizer Dirigent Ernest Ansermet zwischen 1918 und 1930 zahlreiche Uraufführungen von Werken des Komponisten. Daneben bestand eine enge Freundschaft zwischen dem Russen und dem Waadtländer Dichter Ferdinand Ramuz, der den Text zum Bühnenwerk Geschichte vom Soldaten verfasste; die Uraufführung des Stücks 1918 in Lausanne war vom Winterthurer Musikmäzen Werner Reinhart ermöglicht worden. Hans Erni spielt mit dem auf der Grenze zwischen Kubismus und Surrealismus situierten Gemälde auf den Geist zahlreicher Bühnenwerke Stravinskys an: Dessen Ballette Petruschka (1911) und Pulcinella (1920) sowie das Märchenspiel Die Geschichte vom Soldaten (1917) sind in der anarchischen, volkstümlich-derben Atmosphäre von Jahrmarkt, Karneval und Wanderbühne situiert.
Text: Heinz Stahlhut, Hans Erni Museum
Hans Erni:
Stravinsky-Carneval, 1933
Öl auf Leinwand, 100 × 73 cm, Depositum der Stadt Luzern, Städtische Kunstsammlung