Der Mensch und die Natur

Hans Erni:
Der Mensch und die Natur
Trouvaillen aus den Luzerner Museen, Hans Erni Museum
15.04.2020

Von 1958 bis 1964 arbeitet Hans Erni an dem Mammutprojekt einer zehn Bände umfassenden Enzyklopädie, der «MacDonald Illustrated Library» für Aldus Books, Ltd., London, und Doubleday Inc., New York. Der Anspruch, das Wissen der Menschheit nicht nur in Texten zu erfassen, sondern auch in künstlerisch anspruchsvollen Bildern dem Wort gleichwertig zu vermitteln, muss den Künstler ausserordentlich fasziniert haben. Denn seit er sich von der ungegenständlichen Kunst abgewandt hat, sucht er nach Werken, die zugleich gefallen und unterrichten. Was liegt da näher als die Bebilderung eines universellen Nachschlagewerks, dessen Wurzeln in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts liegen. Die Illustrationen führen zur Visualisierung von historischen Epochen, Kontinenten oder so umfassenden Begriffen wie «Nahrung und Landwirtschaft» oder «Krieg und Gesellschaft» in collageartiger Manier Darstellungen von menschlichen Figuren, Objekten und Landschaften zu griffigen Bildern zusammen. Die ebenso an den Film gemahnende Schnitttechnik veranschaulicht in erstaunlicher Weise die Vielschichtigkeit der genannten Phänomene, und die leuchtenden Farben verleihen den Bildern eine hohe visuelle Attraktivität.

Im vorliegenden Werk Der Mensch und die Natur – einer kleinformatigen Malerei in Tempera auf Papier in den Komplementärfarben Rot und Grün sowie Schwarz – fügt Erni eine athletische, männliche Gestalt und eine grosse Algenform zusammen. Der Mann scheint mit einem Pinsel oder Stift an der Alge zu arbeiten; dabei bleibt unklar, ob er an einer realen Pflanze schafft oder nur deren Abbild von dem Blatt, das er in der Linken hält, auf eine transparente Platte überträgt.

In jedem Fall überschneiden sich menschliche und pflanzliche Figur, sind durch die schön geschwungenen Konturlinien untrennbar miteinander verwoben. Die darin wiedergegebene Einsicht, dass der Mensch von der Natur abhängig bleibt, selbst wenn er sie sich noch so sehr untertan gemacht zu haben meint, wird uns derzeit wieder deutlich bewusstgemacht.

Text: Heinz Stahlhut, Hans Erni Museum
Foto: Andri Stadler, Luzern

Hans Erni:
Der Mensch und die Natur, 1960
Tempera auf Papier (60.8 × 50 cm)